Von früher und heute soll ich erzählen? Oh, da gibt es viel zu berichten! Sie wissen doch sicher, dass der Ort Lübbecke im Jahre 1279 vom Mindener Bischof Volquin von Schwalenberg zur Stadt erhoben worden ist. Seitdem haben zahlreiche Bürgermeister und eine Bürgermeisterin sowie viele Ratsmitglieder ihren Dienst in Lübbecke auch in meinen Mauern – versehen. Wann genau das erste Lübbecker Rathaus gebaut wurde, lässt sich aber leider nicht mehr feststellen. Doch schon der Mindener Domherr Heinrich Tribbe erwähnt mich erstmals um 1460 als steinernes Gebäude. Gemeint ist, dass das Erdgeschoß und das erste Stockwerk des Rathauses massiv aufgeführt waren. Die Giebelfronten waren in Fachwerk gearbeitet. Für meinen Bau hat man damals Steine aus den stadteigenen Steinbrüchen verwendet. Die erforderlichen Ziegelsteine wurden in den stadteigenen Ziegeleien gebrannt. Der Festsaal im Rathaus befand sich im ersten Stock und wurde bis in das frühe 19. Jahrhundert benutzt. Hier hatte aber keineswegs jedermann Zutritt, denn der Fest-saal war um 1460 nur den ritterbürtigen und ratsfähigen Familien vorbehalten. In dem Saal wurden großartige Feste gefeiert, kann ich Ihnen sagen!
Seit dem Mittelalter befand sich in meinem Erdgeschoss die Markthalle. Die gab es sogar 1860 noch. Hier wurde alles Mögliche verkauft. Ich erinnere mich noch gut daran, dass es manchmal lautstarkes Gezeter darüber gab, wie schwer die Waren tatsächlich waren. Doch da konnte schnell Abhilfe geschaffen werden. In der Markthalle befand sich nämlich auch die Stadtwaage. Wer die Waage benutzen wollte, musste das so genannte "Waagegeld" entrichten.
Aber das war noch längst nicht alles. Im Rathaus befand sich seit dem Mittelalter selbstverständlich auch das städtische Eichamt, das über die damals gängigen Lübbecker Maße – die Flächen-, Längen- und Hohlmaße – wachte. Und noch eine besondere Einrichtung hatte hier ihren Platz: der Ratskeller. Sogar Tribbe hat ihn erwähnt! Der Ratskeller wurde bis Ende des 18. Jahrhunderts unterhalten. Im alten Teil des Gebäudes kann man heute noch den alten Eingang entdecken. Natürlich ist der steinerne Türbogen nicht mehr so stattlich wie vor ein paar hundert Jahren. Schließlich wurde die Straße vor dem Rathaus seitdem so manches Mal erneuert und auch mein Fußboden dadurch immer ein Stück höher. Deshalb erkennt man vom ehemaligen Eingang zum Ratskeller heute nur noch ein wenig vom oberen Teil.
Gut erinnern kann ich mich noch an den Dreißigjährigen Krieg. Was herrschte damals für eine Angst und Not in der Stadt! Ständig wurden Soldaten einquartiert und die Bevölkerung der Stadt musste die Armeen dann verpflegen. 1627 kam es zum Kampf eines protestantischen Trupps gegen eine kaiserliche Abteilung. Dabei mussten die Kaiserlichen zwar eine Niederlage hinnehmen, aber die Soldaten der Protestantischen Union drangen in die Stadt ein. Hohe Lösegeldforderungen für die von der Stadt zu stellenden Geiseln waren die Folge. Und erst die Plünderungen! Die Soldateska raubte die ganze Stadt einschließlich der evangelischen Stadtkirche St. Andreas aus. Nicht einmal vor mir, dem Rathaus, machten die Soldaten bei ihren Übergriffen Halt. [FOTO AUSZUG STADTBUCH] In Brand geraten bin ich damals aber nicht. Das passierte erst viele Jahre später, nämlich 1705.
Als die Feuerglocke ertönte und die Bevölkerung sich verzweifelt bemühte, einen Stadtbrand zu verhindern, merkte ich bald, dass es trotzdem für mich gefährlich wurde. Die Hitze und die Flammen kamen immer näher. Schließlich griff der Brand neben zahlreichen anderen Gebäuden in der Innenstadt auch auf mich über. Das stattliche Gebäude und auch die meisten Urkundentruhen brannten lichterloh. Aber einige mutige Bürger wagten sich trotzdem ins Rathaus. Sie versuchten noch zu retten, was irgend möglich war. Kurzerhand warfen sie einige Akten, die schon Feuer gefangen hatten, aus dem Fenster. Durch ihren Mut konnten einige Aktenbestände und sogar eine mittelalterliche Urkundentruhe gerettet werden.
Wegen großer finanzieller Schwierigkeiten, der Schuldenstand der Stadt war nach dieser Brandkatastrophe natürlich sehr hoch, verzögerte sich mein Wiederaufbau bis 1709. Zur Erinnerung daran sind in meiner Außenfassade zum Scharrn hin Eisenanker ins Mauerwerk eingelassen worden. Man kann sie heute noch sehen. Das Erdgeschoß und das erste Stockwerk waren wieder massiv aufgeführt worden. Beide Giebel hatte man in Fachwerk errichtet. Das Dach wurde als Krüppelwalmdach gesetzt – so wie beim Burgmannshof auf der gegenüberliegenden Straßenseite.
Gegen Ende des 18. Jahrhunderts war ich allerdings bereits erneut in einem schlechten baulichen Zustand. Das Dach war undicht, im Mauerwerk hatte sich Feuchtigkeit festgesetzt und die Fußböden waren marode. Es war zugig und kalt. Doch die Stadtkasse war noch immer leer und so fehlte das Geld für meine Instandsetzung.
Erst Anfang des 19. Jahrhunderts wurde das Rathaus gründlich überholt. Auch der Festsaal in meinem ersten Stock erstrahlte in neuem Glanze. Doch dann wurde ich kurzerhand zu einem Mehrzweckgebäude. Inzwischen war nämlich die alte Lübbecker Bürgerschule am Marktplatz baufällig geworden. Ein Teil des Rathauses, darunter der Ratskeller, wurde deswegen kurzerhand zum Schullokal umfunktioniert.
In den 1850er Jahren gab es erneut gravierende Baumängel. Besonders betroffen waren jetzt der Dachstuhl und die beiden Fachwerkgiebel. Wieder wurden die Handwerker aktiv und ersetzten mein Krüppelwalmdach im Jahre 1861 durch ein Satteldach. Der Giebel zum Marktplatz wurde im neugotischen Stil, so wie er heute noch zu sehen ist, errichtet. Seitdem schmückt die hübsche Wetterfahne mit der Jahreszahl 1861 meinen Stufengiebel. Weil das Geld aber wieder einmal nicht reichte, verzichtete man auf der Nordseite auf einen schmucken Giebel.
Insgesamt änderte sich auch das Stadtbild. Lebten im Jahre 1820 nur etwa 2.000 Menschen in Lübbecke, hatte sich die Einwohnerzahl bis zum Jahre 1870 auf etwa 2.750 erhöht. Die Bürgerschule am Markt reichte wieder einmal nicht aus, um alle Klassen aufzunehmen. Daraufhin mussten die Stadtverordneten ihr Sitzungszimmer hier im Rathaus zur Verfügung stellen. Auch die Markthalle wurde zeitweise von einer Schulklasse benutzt. In dieser Zeit war hier vielleicht was los! Wieder rannten Kinder über meine Flure, manchmal lauthals lachend, manchmal aber auch weinend, wenn der Lehrer zur Rute gegriffen hatte. Die Situation änderte sich erst, als 1887 der neue Schulbau gegenüber der Kirche bezogen werden konnte. Inzwischen gab es in Lübbecke sogar schon erste Industriebetriebe, die vielen Menschen einen Arbeitsplatz boten. Die Stadt wuchs – und mit ihr auch die Aufgaben.
Das war nicht immer gut. Ich werde wohl nie vergessen, wie es am 1. Mai 1933 zu meinen Füßen aussah: Auf dem Marktplatz fand eine große Kundgebung statt. Doch es ging eigentlich gar nicht um den „Tag der Arbeit“, sondern um Adolf Hitler und dessen Überzeugung. Die hielt nämlich leider auch in Lübbecke Einzug. Ich wurde mit Hakenkreuzfahnen geschmückt und die NSDAP bekam das Sagen in der Verwaltung.
Am 10. Januar 1934 gab der Stadtrat seine Zustimmung zum Erweiterungs- und Umbau des Rathauses. Größer und schöner sollte ich werden. Dafür musste ein Fachwerkhaus weichen, das östlich neben mir stand. Die Baulücke zwischen dem Rathaus und dem Pötting‘schen Haus wurde geschlossen. Nach zweijähriger Planungs- und Bauzeit war ich erweitert und umgestaltet und konnte am 15. Juli 1936 eingeweiht werden. Seit dem Umbau habe ich sogar einen Turm. Er wurde von der Feuerwehr genutzt. Sie konnte darin die benutzten Schläuche zum Trocknen aufhängen. In dem Zwischenbau mit den Spitzbögen war genug Platz für die Löschzüge der Feuerwehr, die nun ins Rathaus mit einzog. Im Dachgeschoß des Anbaus hatte man eine kleine Jugendherberge eingerichtet. Im ersten Stock konnten fünf neu entstandene Büroräume von der Verwaltung genutzt werden. Damals war ich eines der modernsten Gebäude der Stadt, denn es gab sogar eine Zentralheizung und elektrisches Licht. Vordem waren Ofenheizung und Gaslicht üblich. Im Keller des An- und Erweiterungsbaus gab es übrigens sogar eine Gefängniszelle. Das kam der NSDAP gerade recht. Sie ließ manchmal Menschen, die ihre Weltanschauung nicht teilten, hier festsetzen. Das war eine schlimme Zeit! Nach dem Ende des Krieges musste ich dann auch so manchen Übeltäter in meinen Mauern dulden.
Während des Zweiten Weltkrieges waren in Lübbecke zum Glück nur wenige Bomben gefallen und als am 4. April 1945 die Alliierten nach Lübbecke kamen, war für die Stadt der Krieg vorbei. Die Briten richteten den Hauptverwaltungssitz für die gesamte britische Zone ausgerechnet in Lübbecke ein. Einen Kriegsschaden habe ich aber trotzdem noch erlitten. Die Bevölkerung musste nämlich alle Waffen und natürlich auch die Munition im Rathaus abliefern. Dabei kam es zu einer Explosion, bei der auch Teile der Decke des ersten Stockwerkes beschädigt wurden. Doch bald schon kehrte endlich wieder Ruhe ein und die Verwaltung konnte unter demokratischen Bedingungen arbeiten.
Am 1. Januar 1973 bekam ich zusätzliche Aufgaben. Damals trat die Kommunalreform in Kraft. Die bisherigen kommunalen Zusammenschlüsse wurden aufgelöst und dafür neue geschaffen. Zur Stadt Lübbecke gehören seitdem neben der Kernstadt auch Nettelstedt, Eilhausen, Gehlenbeck, Blasheim, Obermehnen, Stockhausen und Alswede. Eine große Gedenktafel aus Stein erinnert daran – und an das Jahr 1975. Damals hatte man mich frisch gestrichen. Mein schicker blauer Turm sorgte für heftige Diskussionen in der Bevölkerung. Bald darauf zog ein riesiger Festumzug an mir vorbei – irgendwie auch zu meinen Ehren, denn die Stadt Lübbecke erinnerte mit großen Feierlichkeiten an die Ersterwähnung des Ortes in den Fränkischen Reichsannalen zum Jahre 775.
1976 brachte wieder eine Veränderung für mich. Der Kreis Lübbecke war im Zuge der Kommunalreform aufgelöst worden. Nun schlossen der neue Kreis Minden-Lübbecke und die Stadt Lübbecke einen Vertrag. Die Folge war, dass die Stadtverwaltung aus dem Rathaus aus- und in das ehemalige Kreishaus an der Kreishausstraße einzog. Ich wurde dadurch zum „Alten“ Rathaus. Hier hielten die Altentagesstätte, die Bücherei und das Stadtarchiv Einzug. Lange nutzte auch die Verbraucherzentrale die Räumlichkeiten. Nachdem die Altentagesstätte und die Verbraucherberatung wieder ausgezogen waren, teilten sich die Bücherei und das Archiv die Räumlichkeiten.
Doch wieder standen grundlegende Veränderungen an: Nach einem Architektenwettbewerb erfolgte meine Kernsanierung. Äußerlich habe ich mich bis auf die Farbe und den neuen Eingang kaum verändert. Innerlich bin ich aber kaum wiederzuerkennen! Mit einem offenen Raumkonzept und lichtdurchflutet stehe ich der Öffentlichkeit seit dem 14. September 2007 wieder zur Verfügung. Als Kultur- und Medienzentrum nutzen mich seitdem die Mediothek und das Museum. Außerdem biete ich Platz für Lesungen, Ausstellungen und vieles mehr. So war und bleibe ich, das „Alte Rathaus“, ein lebendiges Haus, das allen Einwohnerinnen und Einwohnern Lübbeckes und natürlich auch Gästen aus Nah und Fern offen steht … und ich sage: Herzlich willkommen!